Trotz seiner geringen Größe ist er ein einzigartiges Lebewesen und der härteste Geselle unserer Fauna. Nur 1,5 - 2,5 mm, mit blossem Auge also kaum sichtbar, überlebt der Gletscherfloh (Isotoma saltans), Temperaturen bis -20º C. Möglich machen ihm diese erstaunliche Leistung
spezielle Zucker, die wie ein Frostschutzmittel wirken. Er ist damit das einzige Lebewesen, das ganzjährig in und auf einem Gletscher existieren kann. So ausgezeichnet besetzt er eine ökologische Nische, in der er ohne Konkurrenz, wie wir noch sehen werden, sehr gut leben kann.
Die Existenz des Gletscherflohs ist schon seit langem bekannt. In ersten, aus dem 16. Jahrhundert stammenden Berichten, ist von "Schneeinsekten" die Rede, die die weiße Gletscheroberfläche wie Ruß überziehen. Da der Gletscher als Lebensraum für die damalige Wissenschaft als nicht denkbar galt, nahm man an, die "Vermes nivales" müssen wohl vom Himmel gefalle Würmer gewesen sein.
Erst 1839 beschrieb der Geologe Eduard Desor, der als Mitarbeiter von Louis Agassiz die Schweizer Gletscher erforschte, auf dem Gornergletscher den Eisbewohner. Zu Ehren seines Entdeckers erhielt er den wissenschaftlichen Namen: Desoria glacialis. Spätere Untersuchungen ordneten das Insekt der Gattung "Springschwänze" (Isotoma) zu - heute gilt der wissenschaftliche Name Isotoma saltans.
Anfänglich glaubten die Wissenschaftler, der kleine Kerl gefriere nachts zu Eis und würde durch die wärmende Kraft der Sonne wieder aufgetaut. Weiter wurde angenommen, sein Lebenszyklus betrage nur einen Sommer, da nur die Eier einen Hochgebirgswinter überstehen könnten. 1939 begannen die Innsbrucker Zoologen Hannes An und Otto Steinbrück sich näher mit dem Insekt zu befassen. In jenem Jahr grub Hannes An auf dem Jamtalferner im Silvrettagebiet ein Loch durch den Neuschnee bis hinab zum blanken Eis und fand das Flohvolk in der Übergangszone von Neuschnee zu Eis in allerbester Verfassung - weder erfroren noch im Winterschlaf, sondern putzmunter Pollen schmausend!
Dazu muss man wissen, dass die Gletscheroberfläche kein einheitlich fester Körper ist, sondern aus sogenannten "Gletscherkörnern" besteht, jedes einige Zentimeter groß. Gebildet werden die Körner beim Übergang des Firnschnees zu Eis, wobei sie lediglich "zusammenbacken", getrennt durch feinste Haarspalten. So erhält die Oberfläche ihr typisch "pockennarbiges" Aussehen. Des weiteren sammelt sich auf der Oberfläche auch "Gletscherschlamm" (Kryokonit), eine Sammelbezeichnung für all jene feinen Teilchen, die auf den Gletscher gelangen, wie z. B. feinster Staub, Algen oder hinaufgewehte Pollen oder Pflanzenreste aus den Tälern. Diese in ihrer Masse dunkel erscheinenden Partikel erwärmen sich in der Sonne schneller als das wesentlich hellere Eis. Dadurch entstehen zahllose Hohlräume und Schmelzmulden, in denen sich der Gletscherschlamm anreichert. Hier in ca. 20 - 40 cm Tiefe, befindet sich die eigentliche Welt des Gletscherflohs, hier findet er direkt in seinem Lebensraum seine durch Pollen angereicherte Nahrung.
Kopf eines Gletscherflohs. REM-Foto
Aber wie kann ein so kleines Tier in diesem extremen Klima überleben? Im Gegensatz zu den Säugetieren, für die das Überleben im Hochgebirgswinter nur durch Anfressen eines Fettpolsters, ein dickes Fell oder Winterschlaf möglich ist, schenkte die Evolution unserem kleinen Freund ein wesentlich effektiveres Mittel, um in dieser ausgefallenen ökologischen Nische ein gutes Auskommen zu finden. Die trickreichen Überlebensmechanismen haben die Forscher erst in den letzten zwanzig Jahren hinreichend erklärt.
Der Trick besteht im wesentlichen darin, dass der Körper sein eigenes "Frostschutzmittel" produziert. Das Insekt reichert dabei seine Körperflüssigkeit mit speziellen Zuckern und Alkoholen an. Damit nicht genug: sollte es noch kälter werden, blockieren spezielle Eiweißmoleküle die weitere Eisbildung - so bleibt das "Blut" bis ca. -15ºC flüssig! Des weiteren lehrt er zur weiteren Vermeidung eines möglichen Erfrierungstodes auch seinen Darm. So ausgestattet überlebt er sogar Temperaturen bis -20º C . Am wohlsten fühlt sich der kleine Kerl bei Temperaturen leicht unter dem Gefrierpunkt.
Wer nun meint, einem so perfekt gewappneten Tier könnten alle Wetter nichts mehr anhaben, der irrt, denn so gut wie er mit der Kälte zurecht kommt, so schlecht behagen ihm höhere Temperaturen. So stellen sich die größten Probleme des Gletscherflohs erst dann ein, wenn es die Säugetiere wieder ins Hochgebirge treibt: im Sommer.
Die ansteigenden Temperaturen des Sommers lassen das Eis des Gletschers schmelzen. Da sich die dunklen Partikel des Gletscherschlamms schnell erwärmen, trägt quasi seine Nahrungsquelle auch zu seinem größten Problem bei: Schmelzwässer, die schnell die Risse, Gänge und Mulden seiner eisigen Welt füllen. Steigende Temperaturen bedeuten auch für das speziell für tiefe Temperaturen ausgelegte sowie das für die Atmung mitverantwortliche Enzymsystem großen Stress - der Sauerstoffbedarf wird größer, das Tier gerät in Atemnot und erstickt bei 12º C . Wird er dennoch mitgerissen, überlebt er in den Fluten durch eine um den Körper gebildete Luftblase. Eine Wasser abweisende Schichte um den Chitinpanzer bedingt die Bildung und ermöglicht kurzfristig eine Atmung im Wasser.
Gletscherflöhe auf einem Gletscher
Damit ist auch erklärt, was jedes Jahr Millionen Tierchen an die Oberfläche treibt: weniger, wie man früher annahm, eine Erholung durch die Wärme der Sonne, sondern schlicht und einfach der Kampf ums Überleben - die Flucht vor dem Erstickungstod. Versiegt das Wasser wieder, verlässt er sein unfreiwilliges Refugium und kehrt in seine Welt zurück. Auch dabei benutzt das Tier wieder einen cleveren Trick. Um nicht von Oberflächenspannung des Wassers festgehalten zu werden, produziert das Insekt eine ölige Substanz, die mit den Beinen und den Antennen am Kopf über den Körper verteilt wird.
Dass der Gletscherfloh nicht nur wegen höherer Temperaturen länger als nötig fern seines Lebensraumes bleibt, liegt auch an etwaigen Fressfeinden wie dem auf aperen Gletschern vorkommenden Gletscherweberknecht. Doch auch hier ist er nicht ohne Chance, denn als echter Vertreter seiner Ordnung "Springschwanz", der Name deutet es bereits an, springt das Tier bei Gefahr hoch in die Luft und damit aus der Reichweite potentieller Freßfeinde. Dazu benutzen alle Springschwänze eine sogenannte Furca. Diese am unteren Bauch gelegene nach vorn geklappte zweizackige Sprunggabel. Sie wird bei Gefahr mit speziellen Muskeln gestreckt und wirkt losgelassen wie ein Katapult.
Sprunggabel bei den
Springschwänzen
Auch die Fortpflanzung ist bei den Gletscherflöhen in ihrer extremen Welt eine eher kühle Angelegenheit. Im schon kalten Herbst, wenn die ersten Nachtfröste die Gefahr von Schmelzwassern ausschliessen, paaren sich die Insek-
ten. Dabei nimmt das Weibchen die von dem Männchen zuvor abgelegten bis zu 30 Samenpaare durch ihre Genitalöffnug auf und legt dann die befruchteten orangeroten Eier in die Eisgänge. Noch vor der beginnenden Schneeschmelze im Frühjahr schlüpfen die rosaroten Jungen nach ca. vier Monaten. Ein richtiger schwarzblauer Gletscherfloh mit einer für seinen extremen Lebensraum sehr hohen Lebenserwartung von bis zu zwei Jahren, wird er aber erst nach 12 Häutungen.
Die Zukunft des Gletscherflohs in den Alpen ist eher düster. Immer schneller durch die Erderwärmung dahin schmelzende Gletscher - Gletscherforscher rechnen mit dem Verlust von drei Viertel der heutigen Alpengletscher binnen der nächsten 50 Jahre - lassen seinen Lebensraum rapide schwinden. Hoffen wir, das sie nicht recht haben und wir weiter erstaunliches aus dem Leben des härtesten Gesellen unserer Fauna hören können. Vielleicht müssen wir dan in den Himalaya, denn dort lebt sein Verwandter Isotoma mazda.
Für Freunde der Systematik:
Klasse: Springschwänze (Collembola)
Ordnung: Entomobryomorpha
Unterordnung: Arthropleona
Familie: Isotomidae
Gattung: Isotoma
Art: Gletscherfloh (I. saltans)
Mehr Bilder, und Text kannst du hier lesen: http://www.emmet.de/por_gfloh.htm
Ich hoffe ich konnte dir Helfen... ^^
pink_eye